Mit einem Gastbeitrag von Cornelia Wiethaler, Nabu Heidelberg, AK-Umweltpolitik.
„Wieder einmal soll ein Stück Wiese in Heidelberg versiegelt werden (s.u. Hintergrund). Alte Streuobstbäume, artenreiche Hecken und guter Gartenboden zeichnen die alte Streuobstwiese aus. Vögel und Insekten finden hier ihren Lebensraum. Auf dem Gelände der ehemaligen Villa Nachttanz und des Girls Camp haben Menschen gefeiert und getanzt, sich getroffen und diskutiert – über 20 Jahre war es ein Ort der Begegnung und des Austauschs, ideal auch für Musik, Feste und Partys.
Ende März mussten die Bewohner*innen und Nutzer*innen ausziehen. Ein Teil des Gebiets wurde bereits an die Firma Eurofins Agroscience Services mit Sitz in Luxembourg verkauft. Es ist ein Auftragsforschungs-Unternehmen im Bereich Agrarchemie. Auf dem anderen Teil soll ein Busparkplatz für Touristenbusse entstehen.
Mit innerstädtischem Grün rangiert Heidelberg an vorletzter Stelle der Städte Baden-Württembergs: gerade einmal 7m² pro Person stehen zur Verfügung. Und Heidelberg gehört zu den sommerlich heißesten Städten, was wir in diesem Sommer hautnah gespürt haben. Was Heidelberg am wenigsten braucht ist eine weitere Versiegelung, sondern Grünflächen und Frischluft, Bäume und Schatten.
Mit gesellschaftlichem Einsatz und Bürgerentscheiden haben die Heidelberger und Heidelbergerinnen in letzter Zeit die Bebauung der Ochsenkopfwiese oder der Wolfsgärten sowie die Erweiterung des Patrick-Henry-Village auf die benachbarte Ackerfläche verhindert. Haben die Verantwortlichen in der Stadt daraus keine Lehren gezogen?
Heidelberg hat auch auf Gewerbeflächen Leerstand. Im Heidelberg Innovation Park, im Gewerbegebiet Heidelberg-Leimen und auf Patrick-Henry-Village gibt es Möglichkeiten, ohne zusätzliche Versiegelung Gewerbe und Handwerk anzusiedeln. Daher sollten erst einmal diese Flächen genutzt werden. Und für das Abstellen von Touristenbussen sollten Grünflächen und Streuobstwiesen sowieso endgültig tabu sein. Innerstädtische Grünflächen müssen für sozial-ökologische Nutzungen unbedingt erhalten werden.“ (C. Wiethaler)
Hintergrund:
Die Streuobstwiese, um die es geht, ist wenig bekannt. Sie liegt unmittelbar am S-Bahnhof Pfaffengrund/Wieblingen. Vor wenigen Jahren stand hier, am Kurpfalzring, noch die Villa „Nachttanz“. Das Areal umfasst knapp 18.000 qm.
Im Jahr 1989 wurde die Grünfläche als Gewerbegebiet ausgewiesen. NABU und BUND verweisen zurecht darauf, dass es nicht angehe, über 30 Jahre alte Planungen zur Versiegelung der Wiese nun einfach umzusetzen. Durch die sich verschärfende Klimakrise seien solche Pläne überholt; heute gelte es, andere Prioritäten zu setzen.
Etwas mehr als die Hälfte der Streuobstwiese soll durch das Agrochemie-Unternehmen „Eurofins“ bebaut werden, der große Rest ist als Parkplatz für Touristen-Reisebusse vorgesehen. Die Stadt sieht einen Mangel an Reisebus-Parkplätzen gegeben durch den Wegfall der Parkplätze am früheren „Bauhaus“-Baumarkt (Weststadt) und am Alten Karlstorbahnhof (Pläne für neue Feuerwache). Jedoch, so wurde vorgeschlagen, könnten die Touristen-Busse problemlos auf dem Messplatz in Kirchheim parken.
Die Streuobstwiese ist unbedingt erhaltenswert als
- Kaltluftentstehungsgebiet
- Trittsteinbiotop
- und vor allem als eine der letzten Streuobstwiesen Heidelbergs.
Eine gemeinschaftliche Begehung der Streuobstwiese durch NABU und BUND fand am 15. November 2022 statt. Mehr dazu in dem RNZ-Artikel von Robin Höltzcke: „Busparkplatz und Firmenneubau statt Streuobstwiese“ vom 17.11.2022.
Update vom 23.12.22: Teilerfolg für die Naturschutz-Verbände! Wie die RNZ vom 23.12.22 meldet, hat die Firma EUROFINS von ihren Plänen, einen Teil des Areals zu bebauen, Abstand genommen, ua. auch wegen der Proteste 🙂
Die weiteren Pläne, das Areal in einen Parkplatz für Touristen-Reisebusse umzuwandeln, dürften durch das Urteil über die Brettener Streuobstwiese erschwert werden. Zur Erläuterung: In Bretten wurden 39 von 40 zT. über 100 Jahre alte Obstbäume auf einer Streuobstwiese in einer Art Handstreich gefällt, sodass Naturschützern keine Zeit für einen Einspruch blieb. Offenbar wollte man vollendete Tatsachen schaffen, obwohl in BW Streuobstwiesen über 1.500m² besonders geschützt sind. Ein Gericht gab der Klage des NABU Recht (vgl. dazu „Streit um Streuobstwiese in Bretten-Gölshausen“, SWR vom 29.11.2022; „Streit um Obstbäume in Bretten: NABU bekommt Recht“, SWR vom 23.12.2022).
Update vom 6.10.2023: Inzwischen stehen die Chancen für einen Erhalt der Streuobstwiese wieder ein ganzes Stück schlechter. Die jüngste Idee zur Nutzung des Areals: eine Seilbahnstation plus Park&Ride- und Fahrradparkhaus. Mit der Seilbahn soll va. Bergheim vom Verkehr entlastet werden. Die Seilbahn soll die Verbindung ins Neuenheimer Feld schaffen, evtl. sogar in das Patrick-Henry-Village. Ob die Seilbahn kommen wird, soll sich 2024 entscheiden, ebenso, ob zusätzlich ein Parkplatz für Touristenbusse entsteht.
Der NABU möchte die Streuobstwiese in ihrer jetzigen Größe erhalten. Er hatte im Frühjahr 2023 der Stadt ein Kaufangebot für das Areal samt dem bestehenden Gebäude unterbreitet und ein differenziertes Nutzungskonzept (Naturschutzzentrum mit Kita und Café) vorgelegt. Das Kaufangebot und die Nutzungsidee wurden von der Stadt aber abgelehnt. (Zu dem Nutzungskonzept des NABU vgl. RNZ vom 28.4.2023 „Vereine appellieren an Erhalt des Sandsteingebäudes“; Hannes Huß: „Naturschützer verhindern vorerst den Abriss des Sandsteingebäudes“, in: RNZ vom 3.5.2023; Alexander Wenisch: „Entsteht in Wieblingen ein grünes Gewerbegebiet?“, in: RNZ vom 4.7.2023; zur Seilbahn-Idee vgl. Sarah Hinney: „Ein erster Schritt in Richtung Seilbahn“, in: RNZ vom 6.10.2023, Dennis Schnur: „Steigen Pendler am geplanten Parkhaus in die Seilbahn um?“, in RNZ vom 28.11.2023).