Dass Kastanienblüten im Herbst kein gutes Zeichen sind, kann man sich denken. Dieses Phänomen, das auch bei anderen Bäumen zu beobachten ist, heißt „Angstblüte“. Der Begriff bedeutet: Der Baum „spürt“ quasi, dass es mit ihm zuende geht. Er versucht daher noch einmal mit letzter Kraft und zur Unzeit, für Samen zu sorgen, um die Art zu erhalten. Die Angstblüte ist immer ein Stress-Signal.
Mehrere Stressfaktoren kommen zusammen
Betroffen sind vor allem Kastanien, nicht nur hier in Heidelberg. Der Extremsommer 2022 hat den Kastanien (wie vielen anderen Baumarten) sehr zugesetzt. Hinzukommt speziell bei den weißen Kastanien aber auch noch die Schädigung der Blätter durch die Larven der Miniermotte.
Die Miniermotte ist eine Gewinnerin des Klimawandels. Bedingt durch den heißen, trockenen Sommer konnte sie gleich mehrere Generationen hintereinander ausbilden, mit der Folge, dass das Kastanienlaub zT. bereits Ende Juni/Anfang Juli komplett braun und vertrocknet war. Mit dem dürren Laub können die Bäume kaum noch Fotosynthese mehr betreiben und damit auch keine Energiespeicher anlegen.
Wo sind momentan Angstblüten zu beobachten?
Angstblüten kann man derzeit bei der Kastanienreihe entlang der Promenade an der Neckarwiese/ Uferstraße beobachten, zwischen der DLRG-Station und den „Neptun“-Toiletten (Posseltstraße). Betroffen sind 6 Bäume, 5 weiße und auch eine rote Kastanie (an der Fußgängerampel). Auch in Rohrbach in der Römerstraße steht eine große Kastanie mit frischen Austrieben (Ecke Sickingenstraße).
Das Austreiben von Angsttrieben bzw. Angstblüten kostet den Baum viel Kraft. Kraft, die er nach dem Extremsommer und aufgrund der Schwächung durch die Miniermotten eigentlich kaum hat. Dh. der Baum mobilisiert seine letzten Reserven.
Warum gerade von dieser Baumreihe gleich mehrere Bäume betroffen sind, lässt sich nur mutmaßen. Vermutlich kommen bei ihnen (im Unterschied zu der doppelten Kastanienreihe weiter östlich Richtung Theodor-Heuss-Brücke) als erschwerende Faktoren hinzu, dass sie im Einzelstand stehen, also von keinem schattenspendenden Nachbarbaum profitieren. Überdies stehen sie erhöht im Vergleich zur Wasserlinie – das Grundwasser ist für sie viel schwerer (oder gar nicht) zu erreichen.
Je weniger Angstblüten und -triebe ein Baum ausbildet, desto höher stehen die Chancen, dass er im Frühjahr wieder austreibt. Allerdings, nach so einem Extremsommer, gibt es dafür keine Garantie.
Zum Nach- und Weiterlesen:
Instagram-Account der Baumpflegerin Daniela Antoni „baumkontrolle_im_netz“, Post vom 27.08.2022 zum Thema „Angstblüte“.
Biologie-Seite Stichwort „Angsttrieb“.
Übrigens: Mit „Angstblüte“ ist auch ein Roman von Martin Walser betitelt, der 2006 erschien. Die Geschichte handelt von einem alternden Investmentbanker, der allmählich das Interesse am Geldscheffeln verliert. Dafür entwickelt er eine zunehmende Sexbesessenheit. Wen der Roman näher interessiert, dem sei die ausführliche Kritik von Volker Weidermann empfohlen („Angstblüte – Walsers Busenschlamassel„, in: Der Spiegel vom 16.07.2006).