Platanen mit weißen Punkten: Baum­vetera­nen beim Check-up

Hohe Baum­kronen und mächtige Stämme – seit mehr als einem Jahrhundert prägt die Platanen­allee entlang von Steuben- und Hand­schuhs­heimer Landstraße das Stadtbild. Die Baum­vetera­nen gehören zu den ältesten Straßen­bäumen in Heidelberg. Sie haben schon viel erlebt: Gepflanzt wurden sie zu einer Zeit, als noch Post­kutschen durch die Straßen rollten.

Platanenallee in der Steubenstraße mit Blick nach Süden. Wer genau hinsieht, erkennt in der Baumkrone des vordersten Baums rechts eine Reihe weißer Punkte; besser erkennbar sind sie auf den folgenden Fotos.

Doch was bedeuten die vielen weißen Punkte, mit denen die Rinde seit einigen Monaten gekennzeichnet ist?

Sind sie Anzeichen, dass eine Fällung bevorsteht?

Die beruhigende Antwort vorweg: Nein, eine Fällung ist in nächster Zeit nicht zu befürchten.

Die weißen Markierungen stammen von einem Baum­kontrol­leur.

Platane mit Markierungspunkten.

Der Pfeil nach oben bedeutet, dass auch weiter oben noch Stellen sind, die kontrolliert werden müssen.
Um eine auffällige Stelle an der Rinde herum muss kontrolliert werden; auch der Wurzelbereich erfordert häufig eine genaue Untersuchung.

Die Sache mit den weißen Punkten

Wie alle Bäume im Stadtgebiet wird auch die Platanen­allee regelmäßig auf ihren Gesund­heits­zustand kontrolliert. In bestimmten Abständen ist bei solch alten Bäumen zusätzlich ein tiefer gehender Check-up notwendig, um herauszufinden, wie fest ihr Stamm noch ist und wie es mit ihrer Stand­­festig­­keit aussieht. „Tiefer gehend“ ist hier wortwörtlich zu verstehen: Es gibt spezielle Methoden, mit denen man sehen kann, wie es unter der Rinde bzw. im Stamm­inneren aussieht.

Im Vorfeld der eigentlichen Untersuchung markiert zunächst ein Baum­kontrolleur kritische Punkte, an denen dann der Check durchgeführt werden soll, mit weißer Farbe. Das betrifft häufig den Wurzel­bereich – denn hier gibt es Pilze, die von außen oft kaum bemerkbar, die Wurzeln zersetzen. Verdächtige Stellen, die sich zum Kontrollieren anbieten, sind z.B. auch Stamm­schwel­lungen, feuchte Stellen auf der Rinde usw.

Viele der alten Platanen sind vom Massaria-Pilz befallen. Mit der Erkrankung können betroffene Bäume bei guter Pflege noch sehr lange leben.

Eine ernste Gefahren­quelle bei Massaria ist aber, dass selbst große Äste – vom Pilz geschwächt – ohne Vorwarnung abfallen können. Daher werden bei Bäumen mit Massaria auch die Ansätze dicker Äste sorgfältig geprüft.

So können im Innern geschädigte Äste rechtzeitig entdeckt und entfernt werden, um Gefahren vorzubeugen.

Die blaue Plakette bedeutet „Massaria-Befall“.

Blick ins Stamm­innere – ein Heidelberger Physiker macht’s möglich

Nach dem Kennzeichnen der kritischen Stellen erfolgt die eigentliche Untersuchung. Dank moderner Technik ist es möglich, einen Blick ins Innere des Baumes zu werfen, und zwar mithilfe eines „Bohr­wider­stands­mess­geräts“. Das Gerät besteht im Wesentlichen aus einer 40–100 cm langen, dünnen Bohrnadel (Bohrspitze 3 mm, Schaft 1,3  mm), einem Motor und einem Computerprogramm zur Auswertung.

Mit dem Bohr­wider­stands­mess­gerät bohrt der Baumkontrolleur an den weiß gekennzeichneten Stellen feine Löcher in den Stamm und misst dabei den Widerstand des Holzes. Gesundes Holz hat einen hohen Widerstand, Faulstellen oder verpilztes Holz einen niedrigen. Auch Hohlräume im Stamm­inneren sind damit erkennbar.

Baumkontrolle mit dem Bohr­wider­stands­mess­gerät (RESISTOGRAPH®): Sein feiner Bohrer bohrt kleine Löcher in den Stamm. Während dieses Vorgangs wird der Widerstand des Holzes gemessen und in eine Messkurve übertragen. Diese gibt genaue Auskunft über die Beschaffenheit des Stamms; Foto: Frank Rinn, mit freundlicher Genehmigung.

Die beim Bohren ermittelten Werte werden auf einer Anzeige in Form einer Messkurve dargestellt. So kann sich der Baumexperte ein genaues Bild vom Zustand des Stammes und seiner Stand­festig­keit machen. Auf dieselbe Weise lässt sich bei Massaria-Befall auch bei dicken Ästen untersuchen, wie fest ihr Holz ist.

Übrigens:
Die Erfindung dieser speziellen Unter­suchungs­methode und des Messgeräts geht auf den Heidelberger Diplom-Physiker und Unternehmer Frank Rinn zurück. Er hat auch noch andere Geräte zur Baum­unter­suchung entwickelt, etwa per Schall. Für seine Innovationen wurde Rinn mehrfach ausgezeichnet.

Ziel des Check-ups: Prüfung der Sicherheit

Das Ziel der Spezial-Unter­suchung ist die Überprüfung, inwieweit der betreffende Baum (noch) verkehrssicher ist. Besonders bei alten Bäumen müssen sich Baum­kontrol­leure regelmäßig vergewissern, wie sicher der Baum noch steht und wie fest seine Äste sind – zumal wenn es sich um einen Stadtbaum handelt. Denn es muss auf jeden Fall vermieden werden, dass Menschen zu Schaden kommen.

Die Verkehrs­siche­rung von Stadtbäumen zu gewährleisten, ist für den Baum­kontrol­leur oberstes Gebot.

Deshalb nimmt man auch die feinen Bohrlöcher in Kauf, die bei dem Einsatz des Bohr­wider­stands­mess­geräts entstehen.

Die Löcher schaden dem Baum nicht, das haben sorgfältige Unter­suchun­gen nachgewiesen (s.u. Literaturangaben).

Und man muss auch bedenken: Früher wurde ein Baum aus Gründen der Sicherheit im Zweifel einfach gefällt. Heute hat man dank der Methode der Bohr­wider­stands­mess­ung oft noch andere Optionen.

Die Bohrlöcher (3 mm) schaden dem Baum nicht.

Was passiert, wenn Schäden am Stamm festgestellt werden?

Alte Bäume sind innen häufig hohl, das bedeutet gewöhnlich noch nicht gleich das Ende. Mit dem Bohr­wider­stands­mess­gerät kann man feststellen, wie ausgedehnt der Hohlraum ist und wieviel die Rest­wand­stärke des Stammes beträgt. Anhand dieser Werte kann man – unter zusätzlicher Berücksichtigung der Windlast am Standort – die Stand­festig­keit des Stammes beurteilen.

Doch selbst wenn die Stand­festig­keit beeinträchtigt ist, muss der Baum nicht automatisch gefällt werden. Oftmals kann der Baumpfleger in solchen Fällen durch geeignete Maßnahmen den Baum noch eine Weile erhalten. Eine solche Maßnahme kann z.B. das Kürzen von großen Ästen sein, wodurch die Windlast verringert wird. Das heißt, durch das Einkürzen der Krone bietet der Baum dem Wind eine geringere Angriffs­fläche; damit ist das Defizit an Stand­festig­keit für eine gewisse Zeit ausgeglichen.

Nach der Analyse der Baumschäden erfolgt ein behutsamer Pflegeschnitt durch eine externe Firma (März 2022).
Einige Platanen sind schon auf Vordermann gebracht.

Baumpflege kostet, aber was ist die Alternative?

Die Pflege alter Bäume ist aufwendig und kostet, aber der Aufwand lohnt sich. Jeder große, kräftige Stadtbaum ist heute schon ein besonderer Schatz.

Schließlich kann niemand absehen, ob heute gepflanzte Jungbäume angesichts des Klimawandels einmal so groß und mächtig werden wie diese alten Alleebäume. Obendrein werden in der Innenstadt Jungbäume heute überwiegend in Container gepflanzt oder in Hochbeete – aus Mangel an Platz in Boden. Es ist klar, dass Bäumchen aus Containerhaltung keine Riesen werden.

Daher: Schützen wir unsere Baumveteranen nach Kräften, damit sie uns noch lange Freude bereiten!


Zum Nach- und Weiterlesen:

Jasper Rothfels: „Heidelberger Physiker macht das „Innenleben“ der Bäume sichtbar“, in: Mannheimer Morgen vom 16.02.2022. An dieser Stelle nochmals Dank an den Leser Peter Trietsch, der mich auf diesen Artikel aufmerksam gemacht hat.

Die Frage, wie gefährlich diese Probebohrungen für die Bäume sind, untersucht und beantwortet sehr ausführlich der Bericht „Die Folgen exzessiven Bohrens auf Holzfäulen im Baum“ von K. Weber und C. Mattheck vom Forschungs­zentrum Karlsruhe (https://publikationen.bibliothek.kit.edu/170054615). Wem es zu mühsam ist, alles durchzulesen, kann sich auf die letzten beiden Absätze beschränken; hier wird das (beruhigende) Fazit aus den Untersuchungen gezogen: Die Bäume verkraften die winzigen Bohrlöcher durch die Untersuchung folgenlos.

Ein herzlicher Dank an dieser Stelle auch an Dipl.-Phys. Frank Rinn für umfangreiches Hintergrund- und Bildmaterial.